Kreativagentur & Strategieberatung

mindset

Künstliche Intelligenz: Kritik der fehlgeleiteten Vernunft

[4 Min Lebenszeit] Was ist wirklich wichtig? Ist es wichtig, dass wir täglich zu unseren Ameisen-Jobs rennen, dort versuchen unsere Chefs zufriedenzustellen, immer in der Hoffnung auf ein bisschen Wertschätzung und vielleicht irgendwann einmal auf Karriere, Wohlstand und damit augenscheinlich einhergehender Freiheit?
Oder steht über diesem Chef einfach nur ein weiterer Chef, eine weitere Hürde, ein weiteres „Karrieresprungbrett“ und am Ende nur eine weitere Umdrehung im Hamsterrad des gnadenlos misslungenen Self-Managements?
Fakt ist: mit dem Hinwenden zu Karriere und vermeintlichem Erfolg findet oft ein Abwenden von dem statt, was doch eigentlich zählen sollte: Vertrauen, Gemeinschaft, Liebe, Zufriedenheit, Freiheit, aber auch Kunst oder Kultur– eben die schönen Dinge des Mensch-seins.

Keine Liebe für KI: die machtlose Maschine

KI kennt all das nicht. Eine künstliche Intelligenz kennt keine Liebe, erkennt nicht den höheren Wert einer sozialen Gemeinschaft, nicht den ideellen Wert eines Kunstwerks und eben auch nicht den Wert der schönen Dinge – denn eine KI weiß nicht, was Leben bedeutet. Aber ist KI deshalb unweigerlich eine Bedrohung all dessen? Das wäre doch etwas zu kurz gedacht. Eine KI bleibt immer nur ein Produkt dessen, der sie erschuf und der Informationen, mit denen sie „gezeugt“ wurde. Die Erschaffung von Leben durch die Vermittlung von Information? Wohl kaum. Die Beschränkung von Eigenständigkeit durch beschränkte Voraussetzungen? Schon eher. Und genau das ist der springende Punkt: Gefühle, Kreativität, (Selbst-)Bewusstsein und die Idee von Freiheit unterscheiden uns von Kollektiv-Intelligenzen wie neuronalen Netzen, wie sie in Hinblick auf Künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Ich denke lebe, also bin ich! Wenn eine KI diese Fähigkeiten nicht besitzt – warum sollte sie dann von uns als Bedrohung angesehen werden? Nur weil sie in der Lage wäre, unseren Job zu machen? Ist doch großartig! Wenn da nicht unsere Gesellschaft wäre. Denn da liegen die Hürden, die uns aktuell Angst machen sollten.

Der größte Feind der Gesellschaft ist die Gesellschaft

Wenn eine Gesellschaft sich nicht im Einklang mit ihrem technischen Fortschritt entwickelt, wird sie von ihm überholt und scheitert an ihm. Ein Beispiel: Während in den meisten mitteleuropäischen Staaten seit langem ein Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr herrschte und dies in den seltensten Fällen zu Problemen führte, endete dessen Einführung in Schweden im Jahr 1967 im Chaos. Die Bevölkerung stand vor einer radikalen, technischen Veränderung und war damit vollkommen überfordert. Die schwedische Regierung verteilte zur „Gewöhnung“ rot-grüne Fahrhandschuhe, um der Überforderung irgendwie Herr zu werden. Irgendwann klappte das auch – Opfer wurden jedoch diverse öffentliche Verkehrsmittel, da deren Umrüstung schlichtweg zu teuer gewesen wäre.
Anders herum funktioniert das übrigens auch – zum Beispiel, wenn soziale Gefüge in ihrer Entwicklung den technischen Fortschritt hinter sich lassen. Erneutes Beispiel gefällig? Nehmen wir die Industrialisierung, welche auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wurde: Der Effekt der massenhafter Mensch-Maschinen waren die Bildung von Gewerkschaften, die Entstehung von Sozialversicherungen, Rentenkassen und soziale Absicherungen durch den Arbeitgeber. Ganz bewusst werden diese Errungenschaften in diesem Beitrag nicht als Folge der Industrialisierung dargestellt, sondern als Effekt. Denn: Das Aufbegehren und das Bewusstsein der Arbeiter über ihre missliche Lage waren bereits vorhanden. Die Errungenschaften sind also Folgen von Bewusst-sein – nicht Folge der Industrialisierung selbst. Huhn oder Ei? Könnte man meinen. Aber bei diesem Artikel handelt es sich ja zum Glück nur um ein Gedankenspiel, eine Anregung – nicht um eine wissenschaftliche Arbeit.

Mut zur Angst: Wie aus Bedrohungen Möglichkeiten werden

Zurück zur Angst! Was ist die Folge, wenn KI meinen Job übernimmt? Ich verdiene kein Geld mehr. Wenn ich kein Geld verdiene, kann ich mir keine schönen Dinge im Leben mehr leisten, denn – und so will es die ach-so-soziale Marktwirtschaft – ohne Geld keine Freiheit. Die Gesellschaft müsste also Regeln und Voraussetzungen schaffen, die mich absichern, wenn ich durch eine KI meinen Job verlöre. Dazu müsste jedoch erst das Bewusstsein der Gesellschaft einen Quantensprung der Entwicklung hinlegen. Aktuell scheint im gesellschaftlichen Kollektivbewusstsein zu gelten: Trage ich keinen messbaren (Mehr)wert zur Gesellschaft bei, habe ich es auch nicht verdient, von ihr getragen zu werden. Aber ist es nicht der Status „Mensch“ in der Gesellschaft „Menschheit“, der mich für das Getragenwerden qualifiziert? Warum sagt die Gesellschaft nicht: Belohnt werden die, die sich bewusst mit den schönen Dingen beschäftigen, denn sie tragen dazu bei, dass ich, die Gesellschaft, mich weiterentwickle? (Kleine Erinnerung: Schönes Ding = Rente, böses Ding: Industrialisierung.)

Künstliche Intelligenz ist die Befreiung unserer Gesellschaft

Eine der eben beschriebenen Voraussetzungen könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen sein. Angenommen es gäbe ein solches (vielleicht auch nur teilweise bedingungsloses) Grundeinkommen, dass mich vorerst grundlegend absichert und es mir ermöglicht, selbstständig meinen Teil zur Gesellschaft beizutragen – ist KI dann nicht meine Gefängnis-frei-Karte? Apropos Monopoly: Warum sollte ich noch ein Haus in der Schlossallee besitzen wollen, wenn das größte Glück für mich ein kleines Café mit den leckersten Kuchen der Stadt wäre? Eine KI wird es niemals beherrschen, Glück zu erzeugen. Weder in Form von Liebe, noch in Form kreativer Ergüsse, noch in Form von Zitronen-Zuckerguss auf einem Stück Karottenkuchen.
Aber noch einmal ernsthaft: Wirklich wichtige Herausforderungen und Bedrohungen unserer Gesellschaft – wie Klimawandel, Krieg, soziale Ungleichheit oder Hunger – lassen sich nur lösen, wenn wir uns nicht mehr darauf konzentrieren müssen, täglich möglichst unbeschadet das Hamsterrad zu überleben. Die großen Denker der Aufklärung gab es nicht, weil sie 80 Stunden die Woche in einer hippen Werbeagentur zubringen mussten, um sich crazy Slogans zu überlegen.
Die logische und moralisch vertretbare Konsequenz ist also: Wir, die Menschen, brauchen erneut fortwährende Aufklärung. Wir brauchen eine neue Stufe menschlicher Weiterentwicklung; das Erlangen einer neuen Bewusstseinsebene wird zu Lebensgrundlage. Ein ethisch handelndes Kollektivbewusstsein, ohne Grenzen und den Glauben, dass Besitz Reichtum bedeuten würde – genährt aus dem Bewusstsein vieler einzelner, die das alles für sich begreifen. Wir brauchen eine Abwendung von Geld, Reichtum und Status und eine Hinwendung zu Ethik, Moral und Logik.

Die Menschheit entwickelt sich nur durch Revolutionen weiter. Lassen wir KI die nächste sein.

Datum: 03.05.2019
Autor: Jochen Heimann, Mitgründer und Geschäftsführer von FUTUR III